FAWN RESPONSE: WARUM WIR MANCHMAL ZU FREUNDLICH SIND
- Katrin

- 18. Aug.
- 3 Min. Lesezeit
Ein Beispiel aus dem Alltag
Sandra, Mitte 30, hat ihre Wohnung gekündigt. Eigentlich möchte sie nur in Ruhe ausziehen. Doch ihre Vermieterin macht ihr das Leben schwer: Kontrollen, Anschuldigungen, Beleidigungen – immer wieder sabotiert sie den Umzug.
Beim vierten Versuch stellt die Vermieterin sogar leere Kartons und Kisten in den Hausflur, sodass Sandra ihre Möbel und Umzugskisten kaum noch durchtragen kann. Anstatt wütend zu werden, sagt sie mit einem freundlichen Ton:
„Soll ich den Müll vielleicht für Sie entsorgen?“
Später wundert sich Sandra über sich selbst. Sie fragt sich: „Warum habe ich das gesagt?“ – und merkt, dass die Worte wie automatisch aus ihr herausgeschossen sind, noch bevor sie bewusst darüber nachdenken konnte. Genau hier zeigt sich der Fawn Response.

Was ist der Fawn Response?
Neben den bekannten Trauma-Reaktionen Fight (Kampf), Flight (Flucht) und Freeze (Erstarrung) gibt es eine vierte: den Fawn Response.
• Fight: Angriff, Kontrolle, Wut
• Flight: Rückzug, Arbeitssucht, Rastlosigkeit
• Freeze: Erstarrung, Handlungsunfähigkeit
• Fawn: Gefallenwollen, Beschwichtigung, Selbstaufgabe
Beim Fawn Response versuchen wir, durch Anpassung und Freundlichkeit Sicherheit herzustellen – selbst dann, wenn wir eigentlich verletzt oder bedroht sind.
Ursachen: Wie entsteht der Fawn Response?
Der Fawn Response ist meist ein Bindungstrauma-Muster. Er entsteht oft in der Kindheit, wenn wir erleben:
• Ein Elternteil ist unberechenbar oder wütend → wir lernen, brav und angepasst zu sein.
• Nähe gibt es nur, wenn wir uns aufopfern → wir stellen die Bedürfnisse der anderen über unsere eigenen.
• Konflikte führen zu Strafe oder Ablehnung → wir entwickeln Überlebensstrategien durch Gefallenwollen.
So verankert sich im Nervensystem: „Wenn ich nett bin, bleibe ich sicher.“
Typische Anzeichen des Fawn Response
• People Pleasing: Zustimmung, auch wenn du anders fühlst
• Schwierigkeiten, „Nein“ zu sagen
• Verantwortung für die Gefühle anderer übernehmen
• Eigene Wünsche nicht spüren oder abwerten
• Übermäßige Höflichkeit – selbst in offensichtlichen Konflikten
Im Beispiel von Sandra zeigt sich genau das: Statt auf ihr Recht zu bestehen, bietet sie noch Hilfe an – in der Hoffnung, die Lage zu entschärfen. Und genau das erstaunt sie selbst im Nachhinein, weil es so automatisch passiert ist.

Die neurobiologische Sicht: Polyvagal-Theorie
Laut der Polyvagal-Theorie von Stephen Porges reagiert unser Nervensystem auf Stress in verschiedenen Modi. Beim Fawn Response aktiviert es das soziale Bindungssystem – allerdings verzerrt:
• Statt echte Nähe aufzubauen, dient Freundlichkeit dazu, potenzielle Angreifer zu besänftigen.
• Das Muster war in der Kindheit lebensrettend, kann im Erwachsenenalter jedoch zu Überlastung, Co-Abhängigkeit und Identitätsverlust führen.
Wie du den Fawn Response erkennst und heilst
1. Achtsamkeit entwickeln – Beginne, kleine Körpersignale zu bemerken: Wo spürst du Anspannung, wenn du „Ja“ sagst, aber „Nein“ meinst?
2. Grenzen üben – Starte in ungefährlichen Situationen. Ein kleines „Nein“ im Alltag kann ein wichtiger Schritt sein.
3. Selbstfürsorge stärken – Finde heraus, was dir guttut – nicht nur, was andere brauchen.
4. Therapeutische Unterstützung – In einem sicheren Rahmen kannst du alte Muster erforschen, verstehen und langsam verändern.
Fazit: Du darfst du selbst sein
Der Fawn Response ist kein persönliches Versagen, sondern eine intelligente Überlebensstrategie, die dein Nervensystem einmal gerettet hat. Heute darfst du lernen, dass du du selbst sein darfst – mit Bedürfnissen, Grenzen und deiner eigenen Stimme – und trotzdem geliebt und sicher bist.
Häufige Fragen zum Fawn Response
Was ist der Unterschied zwischen Fawn Response und People Pleasing?
People Pleasing (allen gefallen wollen) ist ein Verhalten, das viele Menschen kennen. Der Fawn Response ist dagegen tiefer verankert: Er ist ein automatisches Trauma-Muster. Während People Pleasing oft aus Erziehung oder sozialem Druck entsteht, ist Fawning eine Überlebensstrategie, die in der Kindheit Sicherheit schaffen sollte.
Wie erkenne ich, ob ich im Fawn Response bin?
• Du sagst reflexartig „ja“, obwohl du „nein“ meinst
.• Du übernimmst Verantwortung für die Gefühle anderer.
• Du vermeidest Konflikte um jeden Preis.
• Du entschuldigst dich oft, auch ohne Grund.
Warum reagiert mein Körper so, obwohl ich es besser weiß?
Der Fawn Response läuft nicht bewusst, sondern über dein autonomes Nervensystem. Dein Körper glaubt, dass Beschwichtigung die sicherste Option ist – selbst wenn dein Verstand etwas anderes sagt.
Kann man den Fawn Response „wegtrainieren“?
Nein – und das ist auch nicht nötig. Der Fawn Response war einmal sinnvoll und schützt dich. Ziel der Heilung ist nicht, ihn abzuschaffen, sondern neue, gesündere Strategien zu entwickeln: Grenzen setzen, Bedürfnisse wahrnehmen und ausdrücken, Selbstfürsorge leben.
Ist Fawn Response ein Zeichen von Schwäche?
Nein. Ganz im Gegenteil: Fawning zeigt, dass dein Körper früher einen kreativen Weg gefunden hat, dich zu schützen. Heute darfst du lernen, dass du sicher bist, auch wenn du authentisch bist und Grenzen setzt.


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